Der andere Berg - Wo die Arche wirklich gelandet ist

1744 veröffentlichte Siegmund Jacob Baumgarten in seiner »Übersetzung der allgemeinen Welthistorie« »Eine Untersuchung von der Lage des Gebirges Ararat und den mancherley Meinungen darüber«. 1855 lesen wir in einer kommentierten Ausgabe der »Reisen des Marco Polo«: »Dies ist nicht der Syrische, sondern der Armenische Ararat.«

Kaum jemand, der heute noch an die Sintflut als geschichtliches Ereignis glaubt (Menschen also, die wahrscheinlich sogar unter Christen eine Minderheit darstellen), weiß heute von einer Diskussion um die Lage der Anlegestelle der biblischen Arche Noah. Der erhabene, hoch aufragende Große Ararat im äußersten Osten der Türkei an der Grenze zu Armenien und zum Iran scheint zweifelsfrei der Berg, von dem die Bibel spricht: »Am siebzehnten Tag des siebenten Monats ließ sich die Arche nieder auf das Gebirge Ararat.« (1. Mose 8,4)

Tatsächlich war die Landung am Ararat nicht immer so klar, wie es heute scheint. Die Aussagen von oben lassen sich fast beliebig erweitern: Josephus Flavius spricht von »in Armenien auf dem Gipfel eines Berges«; das Gilgamesch-Epos erzählt vom Berg Nizir, die neuere Übersetzung des assyrischen Begriffs lautet Nimusch. Dann gibt es noch ein apokryphes »Buch der Jubiläen«, das von einem Berg Lubar berichtet; und schließlich der Koran: Er erwähnt den Berg Dschudi, heute Cudi geschrieben: »Und die Arche kam auf dem Al-Dschudi zur Rast«. Und dieser Berg Cudi ist es, auf den sich eine lange Tradition bezieht, nicht nur im Islam, sondern auch bei den Christen einiger östlicher Kirchen.

Das Foto zeigt eine der Ruinen auf dem Gipfel des Berges Cudi. Aufgenommen wurde es vor genau 100 Jahren, am 13. Mai 1909 von der Forschungsreisenden Gertrude Bell.

Diesen Berg habe ich in den letzten Monaten intensiv untersucht – leider nicht vor Ort, denn eine Reise dorthin ist so gut wie unmöglich. Der Berg Cudi befindet sich ebenfalls in der Türkei, 300 Kilometer südwestlich vom Ararat, direkt an der Grenze zum Irak und zu Syrien. Der Berg ist militärisches Sperrgebiet: Die türkische Armee kämpft hier gegen die PKK.

Meine Suche bestand daher aus stundenlangen Recherchen im Internet, virtuellen Erkundungstouren per Google Earth, Telefonaten mit Menschen, die den Berg tatsächlich besucht haben und einem intensiven Mailkontakt mit einem Arche-Experten aus Texas, der schon seit Jahren die These vertritt, dass die Arche auf dem Cudi gelandet ist.

Der Berg Cudi überzeugt durch eine lange Tradition, eindrückliche Ruinen auf seinem Gipfel und einem Holzfund aus dem Jahr 1954. Damals hat der deutsche Geologe Friedrich Bender einen mit Teer bearbeiteten Holzrest gefunden, bei dem eine C-14-Datierung ein Alter von ungefähr 6500 ergeben hat.

Schon im März 2008 habe ich über den Berg Cudi einen längeren Artikel im Internet unter www.bible-earth.net veröffentlicht, über den im »factum« und im »Wort und Wissen Info« berrichtet wurde. Seither sind zahlreiche neue Puzzlestücke zutage gekommen. Manche haben sich ins Gesamtwerk eingefügt, andere haben das Puzzle erweitert oder liegen noch daneben, ohne richtig hinein zu passen. Die wichtigsten Punkte sind Verbindungen zum assyrischen König Sanherib, von dem jüdische Legenden berichten, er habe einen Teil der Arche gefunden. Von ihm sind Reliefs am Fuße des Cudi-Massivs zu finden. Spannend sind Bilder vom Gipfel des Berges Cudi von zwei deutschen Journalisten aus dem Jahr 1983 sowie eines türkischen Archäologen aus den 1970ern. Deren Auswertung gestaltete sich als nicht ganz einfach und ist noch nicht abgeschlossen.

Anhand vieler Beschreibungen und der Fotos konnte ich jedoch in Google Earth die genaue Position herausfinden, wo die Arche höchstwahrscheinlich gelegen hat. Leider ist heute nicht mehr viel zu sehen, außer braun eingefärbtem Sand. Im 8. Jahrhundert brannte auf dem Berg ein Kloster, das wohl um die Arche herum gebaut worden war, und von dem heute noch Umrisse auf dem Satellitenbild zu sehen sein könnten.

Obwohl noch einige Fragen offen sind und weitere Forschung nötig ist, kann mit ziemlicher Sicherheit behauptet werden, dass die Arche nie auf dem Ararat gefunden werden wird – weil sie gar nie dort gelandet ist. Sie strandete auf dem Berg Cudi und hat dort noch viele Jahrhunderte überdauert. Unter dem Sand sind eventuell auch heute noch Überreste der Arche zu finden, doch militärische Konflikte werden wohl auf lange Sicht keine archäologischen Nachforschungen erlauben.

© 20. Februar 2009, Timo Roller